Perspektive wieder zurecht gerückt

Hier in dem mobile home kann man sich beim Duschen im Spiegel anschauen. Und dabei feststellen, dass man nicht mehr nur Speckröllchen hat sondern die Kaiserschnittnarbe von einer veritablen Bauchfalte verdeckt wird. Hängebauchschwein sozusagen. Und auch sonst fühlt sich dieser Körper gerade sehr unbeweglich an.
Und dann trägst du den 15kg der liebste sagt mehr als 15 kg schweren kl kl Menschen minutenlang auf dem Arm durch eine Höhle mit vorgeschichtlichen Höhlenmalereien (wahnsinnig beeindruckende Kunst! Gänsehautmachend!), er schläft auf deinem Arm ein und du trägst ihn einfach weiter, müde werden ist keine Option und plötzlich fühlst du dich unglaublich stark und bist voller Stolz, dass dein Körper dieses (und davor schonmal eins!) menschliche Wesen gemacht hat.
Trotzdem würde mir regelmäßig Sport sicher gut tun.

Tagebuchbloggen 05.07.2015

5:irgendwas Uhr ich höre, wie der gr kl Mensch und der Übernachtungsbesuch sich nach unten schleichen zum Tablet spielen. Am Wochenende ist das morgens früh erlaubt, damit wir Erwachsenen ausschlafen können.

6:15: es fängt an zu regnen. Ich steh auf, um die sperrangelweiten Fenster im Nähzimmer einzuklappen.

6:30 es gewittert. Der gr kl Mensch und das Besuchskind kommen in unser Schlafzimmer, weil sie sich fürchten. Als das Gewitter aufhört, schicken wir sie wieder nach unten, um noch ein bisschen zu dösen.

8:15 Uhr der Liebste steht auf. Ich fühle mich viel platter als um 6:30 Uhr.

8:30 Uhr anziehen, nach unten gehen, an den gedeckten Frühstückstisch setzen. In einen angenehmen Luftzug. Allerdings ist der kl kl Mensch högscht mies gelaunt. Wegen allem und jedem fängt er sofort an zu heulkreischen und will „Papa Arm!!!“.

9:40 Uhr Der Übernachtungsbesuch wird abgeholt

10:00 Uhr Wir machen uns auf den Weg ins Schwimmbad. Seit der große kleine Mensch den Schwimmkurs ohne Seepferdchen abgeschlossen hat, gehen wir, wenn es irgendwie möglich ist, am Wochenende ins Schwimmbad. Für uns Erwachsene ist das eher lästige Pflicht als großer Spaß. Heute haben wir sogar das Freibad mal ausprobiert, auch wenn das Wetter eher durchwachsen war, aber es war definitv noch warm genug. Und zu guter Letzt hat der große kleine Mensch dann noch das Seepferdchen gemacht! Hurra! (Jetzt muss ich ihm endlich die gewünschte Badehose aus dem Reststoff vom Bombshell Badeanzug nähen, weil er das Abzeichen auf diese Badehose haben möchte…)

12:30 Uhr Sendung mit der Maus. Es ist wirklich toll, dass man die mittlerweile jederzeit im Internet nachschauen kann! (Fun Fact: Das Entstehen des Films über die Kühlschrankmagnete habe ich am Rande mitbekommen, weil der Liebste als Berater für die Produktionsfirma fungierte)

13:00 Uhr aufräumen, wir bekommen gleich noch Besuch. Und Limo machen. Selbstgemachter Minzsirup, Zitronensaft, Eis und Leitungswasser. Bei größeren Mengen Limo frieren wir immer einen Liter Wasser in einer alten Eispackung ein, legen diesen Eisblock in eine Schüssel und machen darin dann die Limo. Funktioniert sehr gut. (und ich hab vergessen ein Foto davon zu machen…)

14:30 Uhr Der Besuch kommt endlich und bringt Muffins mit. Zuerst sitzen wir im abgedunkelten Esszimmer, essen extrem schokoladige (->leckerleckerlecker) Muffins und von gestern übrig gebliebenen Johannisbeerbaiser.traeubles_baisser_150704-007 Irgendwann gehen wir raus in den schattigen Garten. Den Garten nutzen wir so gut wie nie, weil er eben schattig ist. Immer. 2015-07-05 16.28.34Aber an so Tagen wie heute ist das perfekt. Die kleinen Menschen spielen mit dem Planschbecken und dem Wasserschlauch. Nachdem ich die Düse von Strahl auf Wasserstaub umgestellt hatte, kams zum einen nicht mehr zu Konflikten zwischen 3 m entfernt sitzenden Erwachsenen und dem große kleine Menschen und der große kleine Mensch zauberte die tollsten Regenbogen und war selbst total entzückt von seinem Können.

17:30 Uhr Da sich am Himmel so langsam ein Gewitter zusammenbraut, gehen wir wieder ins Haus, schnibbeln Gemüse fürs Grillen und richten das Fleisch her. Zwischenzeitlich gab es Bedenken, ob wir überhaupt grillen können, aber die Regenschauer sind aushaltbar genug, dass man den Grill bedienen kann, ohne bis auf die Haut nass zu werden. Gegessen wird im Esszimmer. Wie immer, wenn wir mit Gästen grillen, haben wir zuviel zu Essen, aber das kommt sicher morgen zum abendessen noch weg.

19:15 Uhr Seit der kleine kleine Mensch keinen Mittagsschlaf mehr macht, schläft er häufig auf dem Sofa ein. So auch heute. Der Liebste trägt ihn nach oben ins Bett und der große kleine Mensch geht um 19:45 Uhr ohne groß zu murren hinterher. Die Gäste fragen sich, ob sie jetzt aufbrechen sollen, denn nach ihrer Erfahrung mit anderen Eltern sind diese nun sicher mindestens 1 Stunde mit Kind ins Bett bringen beschäftigt. Als der Liebste nach 10 min wieder runter kommt, sind sie sehr überrascht. In der Zwischenzeit haben sowohl meine Freundin als auch ich von unseren Müttern sehr sehr ähnliche What’s App Nachrichten bekommen mit Bildern von hühnereigroßen Hagelkörnern.

21:00 Uhr Als sich im mittlerweile sehr starken Regen mal eine kleine Lücke auftut, beschließen die Gäste, dass sie nun aufbrechen möchten.

Der Liebste und ich sitzen dann noch gemeinsam auf dem Sofa und diskutieren, wie so oft in den letzten Tagen, den Zustand Europas. (Und wie sehr die Postmoderne den Zeitgeist versaut hat.) Ich habe von Volkswirtschaft und Finanzwesen viel zu wenig Ahnung, als dass ich mich hier in irgendwelche Analysen versteigen werde. Nur bin ich überzeugt, dass Europa nur deshalb in eine Krise diesen Ausmaßes geraten konnte, weil es keine echte gemeinsame Finanzpolitik gibt. Der Euro beruht auf Verträgen zwischen (finanz)politisch souveränen Staaten und nicht auf gemeinsame finanzpolitische Entscheidungen. Das Vertrauen in die Währung basiert darauf, dass darauf vertraut wird, dass die Verträge eingehalten werden. Eine Währung ohne Vertrauen funktioniert nicht (Geld ist schlicht ein Stück Papier bzw. bits und bytes auf einem Konto). Ich bin schon lange der Meinung, will Europa langfristig bestehen, muss die europäische Integration viel viel weiter gehen als Verträge über eine gemeinsame Währung und Beschlüsse zum maximalen Krümmungsradius der Salatgurke (ja, das war Polemik und ja, ich weiß, dass diese Richtlinie längst abgeschafft wurde. Mir geht es darum, wie die EU wahrgenommen wird). Schafft endlich eine Europäische Verfassung! Schafft eine Europäische Föderation. Gebt dem Europaparlament endlich die Legitimation, die die Bezeichnung „demokratisch“ wirklich verdient! (An dieser Stelle nochmal ein tief empfundenes Danke an meinen Sowi-LK-Lehrer! Durch seinen Unterricht habe ich verstanden, was Europa bedeutet und dass es eben nicht um den Krümmungsradius von Salatgurken geht bei diesem Projekt. Sondern um etwas unendlich viel Kostbareres: Frieden und Wohlstand.* Und letzteres steht gerade ganz gewaltig auf der Kippe, für die Griechen sehr sehr konkret, für den Rest von Europa aber durchaus auch und damit ist auch ersteres bedroht. Noch nicht so konkret und spürbar, aber wir werden gerade Zeuginnen der beginnenden Desintegration Europas. Das macht mir Angst!)2015-07-05 21.50.51

22:30 Uhr Das so deutlich aufzuschreiben macht mir klar, wie sehr es mir Angst macht. Ich muss mich irgendwie ablenken, denn es nützt ja nix, jetzt hier zu sitzen und Bauchschmerzen zu bekommen. Mir ist klar, dass ich den Kopf nicht in den Sand stecken werde und mich weiterhin für eine vollständige europäische Integration einsetzen werde. Aber jetzt brauch ich erstmal eine Portion Peanut Buttercup Eiscreme und eine Folge „Mord mit Aussicht“, damit ich heute Nacht schlafen kann. Das meine ich jetzt wirklich genau so.

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* Es ist mir klar, dass das mit dem Wohlstand so nicht eindeutig formuliert ist und ich habe beim Schreiben auch kurz gestockt, weil es arg verkürzt ist. Es ist eine legitime Kritik, dass unser gegenwärtiges Wirtschaftssystem nicht genügend sozialen Ausgleich schafft. Aber die einzige Möglichkeit in einer gerechterweise sich immer weiter globalisierenden Gesellschaft die politische Handlungsfähigkeit für mehr sozialen Ausgleich und Gerechtigkeit zu erhalten, ist es eine starke und geographisch größere Demokratie zu schaffen als die gegenwärtig mickrigen europäischen Nationalstaaten.