Wieder reingefallen

Im Prinzip  finde ich die Schnittmuster von Farbenmix ja toll, schön bunt, einfach zu nähen, tolle Fotoanleitungen und eine unendliche Quelle an Inspirationen zu jedem Schnitt im Netz verfügbar. ABER…

Jedes Mal habe ich schon beim Abpausen des Schnittmusters das Gefühl, dass irgendwas mit den Proportionen nicht stimmt. Meistens kommen mir die Oberteile irgendwie zu kurz vor für die entsprechende Konfektionsgröße, vor allem im Verhältnis zu den Ärmeln. So ein Shirt zu verlängern ist ja nun kein großer Akt und mittlerweile schneide ich  auch immer mindestens 5 cm länger zu, teilweise kürze ich die Ärmel 2-5 cm.

Jetzt brauchte der kleine kleine Mensch einen warmen Anzug für den Winter, denn wir total Durchgeknallten bringen die Kinder ja auch bei Minusgraden im Fahrradanhänger zum Kindergarten/Tagesmutter. Da kam die Zwergenverpackung Vol. 2 gerade richtig, da gibt es nämlich auch einen tollen Overall für obendrüber. Image

Und wieder kamen mir die Maße beim Studieren des Schnittmusters irgendwie unproportioniert vor. Klar, das Ding sollte zum drüberziehen über die normalen Klamotten sein, und im Winter zieht man das Kind ja per se schonmal etwas dicker an, aber eine Oberweite von 84 cm? Im Gegensatz dazu sind die Beine eher schmal geschnitten mit 26 cm, vor allem, wenn man bedenkt, dass die drunter getragene Hose auch schonmal eher weit geschnitten sein kann.

Mittlerweile bin ich auch eigentlich geübt genug, dass ich mir kleinere Anpassungen zutraue und ich habe auch zwei Sache anders gemacht als vorgesehen, nämlich an der Kapuze ein Bündchen angenäht, damit sie etwas enger am Kopf abeschließt und nicht runterrutscht und an den Beinen einen Umschlag angenäht, damit die Füßchen schön warm bleiben. Aber wieder besseren Gefühls habe ich das  Oberteil nicht enger genäht als vorgesehen. Resultat: die Ärme fangen nicht an den Schultern des kleinen kleinen Menschens an sondern am Ellbogen. Und die Beine hätte ich weiter machen sollen, das ist schon eher Gewurschtel beim Anziehen. Bei den engen Beinen ist meine Stoffauswahl wahrscheinlich nicht ganz unschuldig, denn damit das Ding auch im Fahrradanhänger schön warm hält habe ich außen Walk und innen Fleece genommen.

Und was schlägt meine Mama vor, als ich mich bei ihr ausweine: Ich müsse vielleicht doch die Sachen zuerst heften und anprobieren bevor ich nähe. Aber dann werde ich nienienie fertig und ich bin doch so ungeduldig! No way, ich bin froh, dass ich mich aus der harten Schule meiner Oma (gelernte Schneiderin) emanzipiert habe und einfach losnähe, teilweise ohne die Teile auch nur mit Nadeln zu fixieren. Da fange ich doch nicht wieder mit heften an!!! Nein, mehr Mut zur Schnittanpassung, das sollte meine Devise werden!

Die Sache mit den Privilegien

In meinem ganz alltäglichen Umfeld außerhalb meiner virtuellen Filterbubble begegnen mir sehr viele Menschen, die wenig bis gar nicht darüber nachzudenken scheinen, an welchen Stellen sie privilegiert sind und welche Konsequenzen das hat.

Wenn sich z.B. über mangelnde Auslandserfahrung einer Bewerberin mokiert wird. Das gehört doch heutzutage zum Standard, dass man mal im Ausland gelebt hat (funfact: dabei handelte es sich um eine deutsche Bewerberin, die sich auf eine Doktorandinnenstelle in – tada – der Schweiz beworben hat, also gerade Anstrengungen erkennen ließ, diese Auslandserfahrung zu erwerben). Meine Bedenken, dass es sich vielleicht auch nicht jede leisten könne, ein Auslandssemester/-praktikum zu machen und es doch für die gerade diskutierte Stelle auch unerheblich sein, ob die Kandidatin Auslandserfahrung habe und überhaupt doch auf dem besten Wege sein, diese Auslandserfahrung zu machen wurden weggewischt mit den Erzählungen, wie andere privilegierte Studentinnen doch auch im Ausland waren, es gäbe doch Stipendien etc. pp. Da muss eine aber teilweise Dinge vorfinanzieren und es war meiner Gesprächspartnerin nicht beizubringen, dass nicht jede mal eben so 1000 Euro über hat, um ein Flugticket zu kaufen, auch wenn das Stipendium die Kosten im Nachhinein übernimmt. „Wo ein Wille, da ein Weg“ war die arrogante Logik. Mal ganz abgesehen davon, dass auch der Zugang zu Stipendien meist nur bestimmten Gruppen von Studierenden aus strukturellen Gründen offensteht.

In Teilen meiner virtuellen Filterbubble hingegen ist es gerade sehr en vogue jeglichen Diskurs über egal welch ein Thema im Keim zu ersticken mit dem Argument, die Person solle doch bitte erstmal ihre Privilegien checken. Und das finde ich äußerst problematisch.Nur weil eine Person anderer Meinung ist als ich, kann ich daraus doch nicht schließen, dass diese Person sich keine Gedanken darüber gemacht hat, wo sie selber steht in dem Diskurs. Natürlich finde ich es auch ärgerlich, wenn ein Mann locker-flockig die Existenz der Gender Pay Gap negiert und im Laufe der Diskussion klar wird, dass er sich für fähiger als das statistische Bundesamt hält. Und natürlich schreit in mir drin alles „Privilegienheini!“. Aber weiß ich wirklich, wie privilegiert mein Diskussionspartner ist? Von der Gender Pay Gap mag er vielleicht profitieren, aber es gibt ja leider mehr Diskriminierungs- und Privilegierunsebenen in unserer Gesellschaft. Ironischerweise scheinen es aber vor allem Intersektionalistinnen zu sein, die dieses „Privilegienargument“ gerne bringen. Ich kapiers einfach nicht, wie einer dieser Zirkelschluss nicht auffallen kann. Und es kann doch auch nicht im Sinne der Erfinderin sein, dass wir uns nun alle erstmal zwangsouten müssen, bevor wir in einer Diskussion vielleicht ernstgenommen werden.

Ich will nicht, dass Bewerberinnen begründen müssen, warum sie keine Auslandserfahrung haben und ich würde mir wünschen, dass das Bewusstsein dafür, dass ein Auslandssemester u.a. vom Kontostand und dem Zugang zu Förderressourcen abhängen kann, sich auch bei denen durchsetzt, die während des Studiums alleine in der 2 Zimmer Eigentumswohnung der Eltern gewohnt haben. Natürlich habe ich mich hier eines pauschalisierenden Klischees bedient, aber ich hoffe, ihr versteht, was ich damit aussagen will.

Ich will aber auch nicht, dass sich eine, bevor sie in eine Diskusion inhaltlich einsteigen darf, zuerst nackig machen muss. Ich kann meine Privilegien auch reflektieren, ohne mein Umfeld daran teilhaben zu lassen. Manchmal geht es euch schlicht nichts an, ob eine diese oder jene Erfahrung schonmal gemacht hat. Ihre Meinung dazu kann anderen aber trotzdem den Horizont erweitern.

Was ich nicht meine: Dass es voll okay ist, wenn Erfahrungen relativert werden sollen. So nach dem Motto: „Also mir ist das noch nie passiert, ich weiß gar nicht, was du hast, stell dich doch nicht so an, blablabla“.

Achja, es ist kompliziert… Was mich auch ganz gewaltig an der Auseinandersetzung stört: Wenn eine Bedenken äußert, ob das mit diesem „Privilegien checken“ denn immer so eine gute Idee sei, dann wird einer sofort Abwehrverhalten vorgeworfen. Und auch da wieder: Was wisst ihr schon? Vielleicht reflektiere ich meine Privilegien den lieben langen Tag, vielleicht erscheinen manche Privilegien auch nur aus einem bestimmten Blickwinkel als Privileg, vielleicht gehts mir auch „einfach nur“ um Liberalismus.

Aus Gründen der Aufmüpfigkeit wurde dieser Text im generischen Femininum geschrieben. Männer sind selbstverständlich mitgemeint.