Erinnert ihr euch noch, wie ich am ersten Arbeitstag nach 5 Monaten Mutterschutz/Elternzeit vom neuen Chef direkt mal als minderleistende Mutter abgestempelt wurde?
Um ehrlich zu sein, wurde das nicht viel besser, im Gegenteil, immer wieder machte er klar, was er von arbeitenden Mütter hielt. Beispiel gefällig? Er hatte eine Besprechung mit einer anderen Gruppenleiterin (!), die 2 Kinder im Alter der kleinen Menschen hat. Nach der Besprechung gingen wir alle zusammen zum Mittagessen. Als wir vorm Gebäude standen, fiel der Gruppenleiterin ein, dass sie ihren Fahrradhelm im Besprechungsraum vergessen hatte. Sie ging also nochmal rein und holte ihren Helm . Mein Chef kommentiert das mit: „Achja, diese jungen Mütter.“ (man nennt sowas übrigens benevolenten Sexismus).
Mir gab er nie das Gefühl, dass ich etwas gut oder richtig gemacht habe. Dass ich eine Wasserdampftafel nicht als laminierte Hardcopy auf dem Schreibtisch liegen hatte sondern als Bookmark in meinem Browser brachte ihn bereits sichtlich aus der Fassung. Wenn ich mit einem Problem zu ihm kam, suchte er den Fehler bei mir statt mir konstruktiv weiter zu helfen. Gleichzeitig wurde in den jährlichen Zielerreichungsgesprächen festgestellt, dass ich meine Ziele erreicht hatte, keines meiner Projekte ging jemals schief, ich habe den Laden nicht in die Luft gejagt oder eine Milliardeninvestition in den Sand gesetzt.
Das alles führte dazu, dass ich immer mehr den bis dahin recht festen Glauben an mich und meine Fähigkeiten verlor. Ich wurde immer mehr zu dem, was mein Chef vom ersten Tag in mir sah. Eine Frau, die zwischen den Ansprüchen, die der Job stellte und den Aufgaben als Mutter, zerissen und aufgerieben wurde. Ich wurde mit jedem Tag unzufriedener mit dem Job und fragte mich, wie lange ich diesen Job, der mir anfangs soviel Spaß gemacht hatte, noch machen will. Ich hatte aber auch keine Ahnung, was ich sonst machen wollte. Ich hatte derart das Vertrauen in mich verloren, dass ich mir auch keinen anderen Job zutraute. Ich traute mich noch nicht einmal, mich firmenintern umzuschauen, weil ich befürchtete, dass mich eh keine wolle.
Dann wurde ein Unternehmensteil abgespalten und es war von vornherein klar, dass Teile der Gruppe, in der ich arbeitete, in das neu geschaffene Unternehmen übergehen würden. Es war der Unternehmensteil, in dessen Projekten ich immer am liebsten gearbeitet hatte, aber ich konnte mir auch hier nicht vorstellen, dass ich dahin wechseln würde. Dass irgendwer auf der anderen Seite sagen würde, wir brauchen auf jeden Fall eine Drehumdiebolzeningenieurin. Tatsächlich brauchten sie aber zwei Drehumdiebolzeningenieure. Win win. Wenn mein Chef schon zwei seiner 5 Drehumdiebolzeningenieure abgeben musste, war es natürlich praktisch, dass ich eine davon war.
Seit einem knappen Jahr habe ich also nun einen neuen Chef (den alten Chef bin ich sogar schon mehr als 1 Jahr los, es gab zwischendrin noch einen Interimschef, der auch schon ein unfassbarer Lichtblick war). Und plötzlich identifiziere ich mich wieder mit meinem Job. Entwickele Ideen. Setze Dinge in Bewegung. Sehe Perspektiven für mich. Sowohl im jetzigen Job als auch in anderen Bereichen. Ich bekomme Feedback, mit dem ich was anfangen kann. Klar, sachlich und fair. Und zu meiner eigenen Verwunderung oft positiv. So positiv, dass ich einmal sogar geweint hab, als ich aus dem Büro raus war. Vor Erleichterung.
Heute morgen kam mein Chef in mein Büro und sagte: „Sie gehen ja nächste Woche in Urlaub. Ich würde gerne auf Stand gebracht werden. Heute 14 Uhr. Sie müssen nichts vorbereiten, einfach nur, dass ich weiß, was los ist, sollte was sein, während Sie weg sind.“ Und was mach ich? Ich frag mich stundenlang, ob ich mal wieder verpeilt hab, dass man seinen Chef 4 Tage vor dem Urlaub bereits auf Stand bringen muss. War ich mal wieder zu unorganisiert, dass ich nicht längst einen Termin für Montag oder Dienstag eingestellt hab, um ihn auf Stand zu bringen?
Als ich dann um 14 Uhr in sein Büro kam, bat er mich, die Tür zu schließen. Ein untrügliches Zeichen, dass es kein fachliches Gespräch werden wird sondern ein Personalgespräch. Kurze Panik. Letzte Woche hatte er mich sehr souverän aus einer etwas ungeschickten Situation rausgeboxt, in die ich naiverweise geraten war. Hatte er deshalb ein Hühnchen mit mir zu rupfen?
Stellt sich raus: Er wollte mir meine Beförderung mitteilen.