Unterdrückungsmechanismen in emanzipatorischen Bewegungen?

Kürzlich fand ich mich selbst in einer Situation wieder, die mich sehr stark an das Experiment, welches in „Die Welle“ beschrieben wird, erinnerte. Wirklich erschüttert hat mich vor allem, wie sehr und wie leicht totalitäre Muster etabliert werden können, wenn eine nur ausreichend verschleiernd hauptsächlich an das Gemeinschaftsgefühl der Gruppe appeliert. Das ganze spielte sich in einer Gruppe junger Feministinnen ab, die sich ein- bis zweimal im Monat zu einem Stammtisch trafen. Es geht also nicht darum, dass irgendjemand im stillen Kämmerlein Hasstiraden in dieses Internet geschrieben hat, sondern um Menschen, die in regelmäßigem persönlichen Austausch zueinander standen. Dass selbst im persönlichen direkten Umgang miteinander solche totalitären Herrschaftskonzepte etablierbar sind und innerhalb kürzester Zeit engagierte reale Projekte zerstört, finde ich schockierend. Da die Auseinandersetzung über die zu etablierenden Unterdrückunsgstrategien aber gleichzeitig über eine Mailingliste schriftlich dokumentiert sind, wurde mir in aller Deutlichkeit bewusst, welche logischen Fehler und zivilisationsfeindliche Haltung hinder dem Konzept der Definitionsmacht steckt.

In feministischen Kreisen ist seit einiger Zeit ein Konflikt am gären bzw. offen ausgebrochen, der sich meiner Meinung nach hauptsächlich an einem Konzept entzündet, das sich Definitionsmacht nennt. Bei Wikipedia ist dazu nicht sonderlich viel zu finden, es gibt einen Artikel, der dieses Konzept im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt beschreibt, aber der ist nicht sehr ergiebig, was die eigentliche Problematik dieses Konzeptes betrifft.

Es ist mittlerweile aber leider so, dass dieses Konzept nicht mehr ausschließlich auf sexualisierte physische Gewalt angewendet wird, sondern ganz generell auf Situationen des Unwohlseins. Im Folgenden möchte ich zuerst einmal beschreiben, wie ich das Konzept der Definitionsmacht verstehe: Ausschlaggebend dafür, wer die Definitionsmacht habe, sei ausschließlich die Positionierung in einem (vermeintlichen) Machtgefälle. Fühle sich eine vermeintlich unterprivilegierte Person in einer bestimmten Situation unwohl, habe sie das Recht, dies ohne weitere Erläuterungen oder Begründungen zu signalisieren. Die vermeintlich privilegierteren Personen müssen diese „Kritik“ unhinterfragt annehmen und sollen in einem Prozess der Selbstreflektion herausfinden, was problematisch an ihrem Verhalten war. Die unterprivilegierte Person sei möglichst aus diesem Prozess herauszuhalten, da jedes Nachfragen eine Reproduktion des Unwohlseins bedeute. Und erklären müsse sie schon per definitionem nichts, denn sie habe ja die Definitionsmacht. Niemand außer ihr könne definieren, ob und warum sie sich unwohl gefühlt habe.

Soweit so trivial. Denn natürlich kann niemand außer mir selbst festlegen, wann ich mich unwohl fühle. Das ist aber überhaupt nicht der Punkt bei diesem Konzept. Leider ist es aber genau der Punkt, auf den die meisten reinfallen, wie mir scheint. Hört sich ja erstmal toll an, dass ich mich in Situationen, in denen ich mich unwohl fühle, zwar signalisieren kann, dass ich mich unwohl fühle, aber nicht erklären muss, warum. Denn das ist ja in der Tat leider häufig anders und kann als erneute Grenzüberschreitung empfunden werden. Dessen sollte sich eine in heiklen Gesprächssituationen durchaus bewusst sein. In jedem Kommunikationsseminar lernt eine, dass die Feedbackempfängerin das Feedback zuerst einmal unkommentiert annehmen und reflektieren sollte, bevor sie in den Dialog mit der Feedbackgeberin eintritt. Aber ich halte es für sehr gefährlich, wenn eine jegliche Auseinandersetzung mit heiklen Themen auf eine derart moralisierende Art und Weise beenden kann. Das führt zu Immunisierung gegen andere Sichtweisen und damit geradewegs in totalitäre Strukturen.

Sehr schön nachzulesen ist diese Immunisierungsstrategie z.B. bei Antje Schrupp:

Wenn hingegen „die Anderen“ für sich Definitionsmacht beanspruchen, dann bedeutet das: Wir brauchen euch von gar nichts zu überzeugen.

Nun gut, Antje Schrupp ist ja auch der Meinung, dass Rechtsstaatlichkeit ein zu überdenkendes Konstrukt sei (typischer Fall des Verwechselns von Inhalt mit formaler Funktionsweise)…

Gerne wird Definitionsmacht auch extrem verkürzt (und dadurch massiv verschleiernd) so erklärt: „Die Frauen, die sich an #aufschrei beteiligten, entscheiden, ob sie sich sexistisch behandelt gefühlt haben.“ Ach du meine Güte. Natürlich kann nur die Betroffene entscheiden, wie sie sich behandelt gefühlt hat. Ja, das hat #aufschrei auch gezeigt, viele Menschen denken, sie können besser bewerten als die Betroffenen, wie sich die Betroffenen zu fühlen haben. Das ist zum Kotzen und sowas sollte eine nicht tun. Schon lange bevor ich auch nur die winzigste Kleinigkeit über Definitionsmacht gelesen habe, habe ich mich darüber aufgeregt, wenn meine Mama mir den Schweinebraten mit „Der schmeckt gar nicht nach Schwein“ versucht hat schmackhaft zu machen. Wie kann sie entscheiden, was für mich nach Schwein schmeckt?!? Das ist aber keine Definitionsmacht sondern trivial.

Wenn eine aber mal genauer nachfragt bzw. hinhört, dann wird einer auch genauer erklärt, worum es beim Definitionsmachtskonzept denn nun wirklich geht: die von Diskriminierung betroffene Person entscheide, ob Diskriminierung stattgefunden habe. Dabei gehe es nicht um Meinungsverschiedenheiten (also doch nicht um ein schlichtes Gefühl des Unwohlseins) sondern um Machtgefälle. Machtgefälle können sein Mann – Frau, „Deutsche“- „AusländerInnen“, hetero – nicht-hetero, monogam – nicht-monogam, religiös – atheistisch, Omnivoren – VeganerInnen… Im wesentlichen treten solche Machtgefälle also immer da auf, wo eine Mehrheit auf eine Minderheit stoße (bei dem Mann – Frau Ding ist das etwas anders gelagert…). Es gibt die klare Aussage von Seiten der Definitionsmachtvertreterinnen, einer weniger privilegierten Person zu widersprechen sei diskrimierend (ich kann das immer noch nicht glauben, aber ich habs schriftlich…). Eigentlich brauche ich jetzt nicht mehr weiter zu erklären, was daran wahnsinnig ist. Aber weil ich aus eigener schmerzhafter Erfahrung weiß, dass es genügend Menschen gibt, die den Kurzschluss nicht sehen, nochmal in aller Deutlichkeit: Mit dieser „Begründung“ kann jede missliebige Aussage (egal ob eine Aussage über die Realität, eine ander Meinung oder etwas, was unangenhme Gefühle macht) moralisch als diskriminierend herabgewürdigt werden. Darüber hinaus findet ein klassischer Zirkelschluss statt, denn wenn die von Diskriminierung Betroffene entscheidet, ob sie diskriminiert wurde, kann jede vollkommen unhinterfragbar behaupten, diskriminiert worden zu sein. Oder im Umkehrschluss: Dadurch wird eine Hexenjagd konstituiert. Sobald eine der eigenen Verurteilung widerspricht, ist man erst recht dran, weil es als weiterer Beweis für das angeblich diskriminierende Verhalten gesehen wird.

Auf der logischen Ebene finden über diese unbegründete Grundannahme hinaus auch noch haupsächlich zwei Fehler statt:

  1. ein Empfinden („das Gesprächsthema berührt mich unangenehm“) oder Meinung („ich stimme der Aussage des Gegenübers nicht zu“) hat nichts mit einer Definition zu tun. Definitionen sind logisch generell reine Umschreibungen ohne moralische Bewertung oder ohne Darstellung eines Zusammenhangs. Es sind reine Hülsen.
  2. Typischerweise wird von Seiten der Definitionsmachtanhängerinnen missliebiges Verhalten als im negativen Sinne normativ, also unterdrückerisch bewertet. Beliebtes Beispiel: In der Öffentlichkeit knutschende Heteropaare werden als heteronormativ bezeichnet. Dabei wird die Bedeutung des Wortes „normativ“ vollkommen falsch gebraucht. Natürlich trägt jedes knutschende Heteropaar zum Eindruck bei, alle Menschen seien hetero, wenn eine eben nur knutschende Heteros in der Öffentlichkeit sieht. Diese Performance ist aber nicht normativ sondern rein deskriptiv, weil sie keinerlei Aussage darüber macht, ob das Paar denkt, dass alle Menschen hetero sein müssen. Die Wikipedia sagt zu normativ:

     Philosophische Normativität gibt an, wie etwas sein sollte. Normativ ist in der Philosophie in der Regel dem Attribut deskriptiv (beschreibend) als Beschreibung für Theorien und Begriffe entgegengesetzt. Deskriptive Aussagen sind Sätze über die Realität und können überprüft und gegebenenfalls auch widerlegt werden (Falsifikation). Normative Sätze geben vor, wie etwas sein soll, also wie etwas zu bewerten ist. In der Moralphilosophie wird beispielsweise normativ geklärt, ob etwas gut oder böse ist oder welche Handlungen moralisch geboten sind.

Machen wir mal ein unbelasteteres Gedankenspiel um das ganze praktisch zu illustrieren. Wenn also eine Atheistin, die durchaus institutionell diskriminiert wird, sich in einem Gespräch mit Christen über Religiösität unwohl fühlt, weil sie dadurch eben wieder daran erinnert wird, dass sie als Säugling ohne Zustimmung eine Konfession zugewiesen bekommen hat, dass sie deshalb gegen ihren Willen Kirchensteuern gezahlt hat, dass sie, um gegen Gebühr ihren Kirchenaustritt zu erklären zum Amtsgericht gehen musste, dass ihre Kinder von klein auf mit christlichen Bräuchen konfrontiert werden, dass im Kindergarten Ostern, Nikolaus und Weihnachten samt Jesuskind zelebriert wird, dass konfessionslose Kinder in der Grundschule zum christlichen Religionsunterricht gezwungen werden,… dann darf sie mit Fug und Recht behaupten, dieses Gespräch über Religiösität stelle eine diskriminierende Handlung dar? Natürlich stellt das Gespräch über Religiösität an sich KEINE diskriminierende Handlung dar, solange niemand sagt, dass die Atheistin nicht mitreden dürfe oder unbedingt Christin werden müsse.

Ein weiterer Aspekt, um die Absurdität dieser Aussagen darzustellen: Eine feministische Forderung ist, dass Frauen nicht anders behandelt werden als Männer. Aber hetero, monogam Lebende,… sollen in all ihren (Sprach-)handlungen anders beurteilt werden als nicht-hetero, nicht-monogam,…? Wieviele Vorurteile sollen da rein aufgrund von willkürlichen Kategorien (Brillenträgerin, Akademikerin, Mutter, weiß,…) auf Individuen geladen werden, während gleichzeitig vorgegeben wird, gegen jegliche Vorurteile vorzugehen?

Während der Auseinandersetzung über all diese Punkte auf einer Mailingliste mit Menschen, die mir alle hauptsächlich durch reale Treffen persönlich bekannt sind, wurde per Twitter innerhalb dieser peer-group mehrmals mehr oder weniger explizit kolportiert, dass ich keine Feministin sei. Und das war dann der Punkt, wo ich gemerkt hab, dass da gerade nichts anderes abgeht als bei „Die Welle“ beschrieben wurde. Menschen, die Kritik an der Ideologie üben werden einfach mal ratzfatz als „nicht dazugehörig“ definiert. Ich sags ja, totalitär…

Ich möchte noch darauf hinweisen, dass es vollkommen egal ist, auf welche Kategorien und angeblichen oder realen Machtverhältnisse dieses Konzept angewendet wird. Die falsche Logik hat immer die gleichen desaströsen Auswirkungen. Bei Critical Whiteness ist es der Antirassismus, der dadurch in Mitleidenschaft gezogen wird, bei Männer vs Frauen ist es der Feminismus, der dadurch diskreditiert wird und Antifeministen und Maskulisten legitimes Futter für ihre unsäglichen Tiraden gegen Frauen liefert.

Egal worauf das Definitionsmachtskonzept angewendet wird, untergräbt es die Grundlage unserer Zivilgesellschaft. Es immunisiert den eigenen Standpunkt gegenüber allen anderen Sichtweisen. Es ist dogmatisch, weil beliebige Aussagen von angeblich Unterdrückten weder moralisch noch inhaltlich widersprochen werden kann und es ist totalitär, weil die Geltung dieser absoluten Aussagen auf beliebige andere Bereiche übertragen wird (wer dem Definitionsmachtskonzept nicht anhängt, ist Rassistin, twitterRassistinKadda_bearbeitetkeine Feministin, etc)Tweet_antifem

Das Ziel einer offenen Gesellschaft ist die Maximierung der Freiheit des Denkens, Sprechens, Schreibens, individuellen Handelns. Dies wird erreicht durch die Maximierung der Kritisierbarkeit. Immer da, wo die Freiheit der einen mit der Freiheit der anderen kollidiert, brechen Konflikte auf. Diese können nur dann so zivil, rational und gewaltarm wie möglich gelöst werden, wenn auf inhaltlicher, abstrakt sprachlicher Ebene ein Diskurs so klar, offen und intersubjektiv überprüfbar wie möglich ausgetragen werden kann. Das mag manchmal unangenehm bis schmerzhaft sein. Aber die Minimierung physischer Gewalt, die Minimierung der Unterdrückung der persönlichen Freiheit wird nur durch Maximierung der Kritik erreicht.

Eine Position zu immunisieren, dogmatisch jegliche Kritik daran als Diskriminierung zu bezeichnen und damit zu unterdrücken und totalitäre Unterwerfung unter ein unlogisches Konzept zu fordern untergräbt die fundamentale Grundlage einer freien und offenen Gesellschaft. Dies würde in letzter Konsequenz erst zu einem Zerfall der Gesellschaft in nicht mehr offen untereinander kommunizierende Gruppen und anschließend in eine physisch gewaltvollen Clash verschiedener Dogmen führen.

Obwohl das so ist, warum hat dieser Wahnsinn trotzdem so eine Kraft? Diejeniegen, die das propagieren, reden die ganze Zeit davon, wie wichtig Sprache sei, haben aber gar nicht kapiert, wie Sprache funktioniert. Da gibt es die eine Gruppe, die in dem Konzept einen Schutzraum sieht, der ihnen die Möglichkeit gibt, in einer heimeligen Gruppe aufzugehen, ohne die dahinterliegende fehlerhafte Logik zu durchschauen. Dieser Schutzraum funktioniert leider nur so lange, bis diese Leute aus willkürlichen Gründen in die Täterinnenrolle gedrängt werden und damit zum Opfer dieses Konzepts werden. Und es gibt die andere Gruppe, die dieses Konzept ganz klar als Machtinstrument missbraucht, die wahrscheinlich auch nicht kapiert, welch essentialistischer Mist dieses Konzept ist, aber wo ich mich schon frage, ob sie bewusst dieses Konzept zur psychologischen Manipulation der ersten Gruppe missbrauchen.

21 Gedanken zu „Unterdrückungsmechanismen in emanzipatorischen Bewegungen?

  1. Rein psychologisch halte ich das Konzept auch nicht für förderlich. Wahrnehmung ist subjektiv. Und es können Missverständnisse auftreten. Das bedeutet nicht, dass es keinen Rassismus, Sexismus, etc gibt, aber es kommt oft genug vor, dass man aufgrund der eigenen Biographie Dinge anders wahrnimmt als andere.
    Ganz triviales Beispiel: Person X fühlt sich „fett“ und ist mit Person Y beim Kleiderkaufen. Person Y sagt, dass ihr der rote Pulli besser steht als der blaue. Person X bezieht das darauf, dass der blaue Pulli figurbetonter ist und ist verletzt weil sie versteht „Mit deiner Figur solltest du sowas enges nicht tragen“. Person Y fand allerdings nur, dass das Rot besser zu ihrer Haarfarbe passt.
    Laut Definitionsmachtkonzept (Dick – Schlank) kann Person X die andere Person nun zurechtweisen (Du warst Lookistisch, falls es das gibt^^) und Person Y darf sich nicht erklären. Damit wird die Wahrnehmung von Person X aber letztlich bestärkt und die Chance auf eine andere Sichtweise wird ihr genommen.
    Zurück bleibt eine gekränkte Person X und eine ratlose und womöglich ebenfalls gekränkte Person Y.

  2. Du wirst lachen, aber ich bin auch schon dumm angemacht worden, weil ich einer Person gesagt habe, dass sie gut aussieht. Da fällt einer doch nix mehr ein…

  3. Es ist schade, dass sich ihre Exkolleginnen von der Mädchenmannschaft dieser Diskussion verweigern.

  4. Wahrnehmung ist zwar subjektiv, Bewertungen sind jedoch verhandelbar. Aus psychologischer Perspektive ist klar, dass wir viele Bewertungen treffen, ohne uns über eigene irreleitende Motive und falsche Prämissen im Klaren zu sein. Es kommt immer wieder vor, dass mir jemand etwas sagt, dass ich zunächst als unangenehm, als Zumutung, als Diskriminierung empfinde, aber in der Reflexion oder Auseinandersetzung erkennen muss, dass meine Bewertung unangemessen war.

    Dazu braucht es aber Diskurs. Möglichst einen ohne Machtgefälle. Zum Glück sind Mehrheits-Gefälle viel seltener Machtgefälle als man denkt: Einzelne Monogame haben keine Macht über Polygame, einzelne Heteros haben keine Macht über Homos, einzelne Christen haben keine Macht über Atheisten. Als Atheist kenne ich keinen einzigen Christen, der mich bislang in meinem Atheismus unterdrückt hätte. Das Herumgechriste im Radiowecker nervt, die küssenden Heteros an der Haltestelle nerven, die leichtbekleidet abgebildete schlanke Frau in der Reklame nervt. Aber Herumnerven ist noch lange keine Unterdrückung.

  5. Danke dafür. Leider setzt sich diese Sichtweise ja immer mehr durch (z.B. auch im Missy Magazine – „warum Frauen nicht sexistisch sein können“, wg. fehlendem Privilege natürlich). Das ist alles so höchst albern und beutet letztlich den guten Willen aus, den die meisten Menschen dem Thema „Gender Justice“, in welchen Worten auch immer, entgegenbringen. Ich kenne die deutschen Vertreterinnen inkl. der Mädchenmannschaft nicht (und habe von den „totalitaristischen“ Vorgängen auch erst über das FAZ Blog von Don Alphonso erfahren), aber ich weiß von einer amerikanischen feministischen Bloggerin, daß sie das Problempotential offenbar genauso sieht, öffentlich aber trotzdem an der Definitionsmachtargumentation festhält.

  6. Danke für die ausfühlichen Beiträge. Auch „Schwächere“ können Macht ausüben, mit dieser Methode, sag ich mal so. Ansonsten finde ich das Wort „verhandelbar“ wichtig. Es kommt auch immer auf die Beziehungen an, in deren Zusammenhang etwas geäußert wird. Ein Bekannter sagte neulich, er bestünde darauf, das Gericht, dass es in Wien gibt „Mohr im Hemd“ so zu benennen. War nicht davon ab zu bringen. Ich hab mir dann mal vorgestellt, er ist in Wien mit drei Delegierten von der Uno, wo er arbeitete, sitzt in einem Café, zwei der Delegierten haben eine schwarze Hautfarbe, können auch deutsch, und er bestellt beim Ober lautstark einen „Moor im Hemd“. Vielleicht würde er es dann merken. Passt nicht so ganz, das Beispiel, aber auch er hat sich ja in einer Minderheit am Tisch „gefühlt“. Also sagt das erstmal gar nichts. Ist ein sehr komplexes Thema, finde ich.

  7. @joschs
    „Aber Herumnerven ist noch lange keine Unterdrückung.“

    Eben. Aber leider gibt es Leute, die sich gegenüber derartigen Differenzierungen verweigern.
    Die nicht mehr unterscheiden wollen zwischen den alltäglichen Unannehmlichkeiten, mit denen wir alle leben müssen. Und der Verletzung von Rechten, über die wir aus guten Grund nicht diskutieren.

    Wie will man mit Leuten Argumente austauschen, die ihre Gefühlswelt verabsolutiert haben und die eine regelrechte Abneigung gegen klare Gedanken haben?

    So was nannte man mal „immunisiertes System“.

  8. Wenn Du Dir bewußt machen könntest daß, „wenn auf inhaltlicher, abstrakt sprachlicher Ebene ein Diskurs so klar, offen und intersubjektiv überprüfbar wie möglich ausgetragen werden kann.“
    von “ Maskulisten( legitimes Futter für ihre unsäglichen Tiraden gegen Frauen liefert)“ in Bezug auf die rechtliche Gleichstellung der Väter nach §1626a BGB, die geschlechtsneutrale Formulierung des § 183 StGB, die Abschaffung der Diskriminierung männlicher Behinderter in SBG IX §44, die Grundsätzliche Abschaffung der Militär- und kriegsdienstverpflichtungen nru auf Basis des Geschlechts, ebenso wie die in vielen Gmeindesatzungen noch immer verankerte Notverpflichtung nur eines Geschlechts (welches gleich) für die Feuerwehr und den Katastrophenschutz gefordert würde, dann wäre Dein Rant für mich Ausdruck eines Demokratierverständnisses. Vorher ist es leider nur das in abstrakter Form vorgetragene Meckern einer verschmähten – weil in der peergroup gedissten – Person.

  9. Sie scheinen sehr belesen und klug zu sein. Das sind sicher viele (Ex-)Feministinnen.
    Wieso benutzen sie ihre Fähigkeit nicht einfach um etwas anständiges zu machen als sich mit so ner bizarren Pseudo-wissenschaft zu befassen?

  10. @dummerjan: Du bist unverschämt. Aber da mir nun mal an einem offenen Diskurs gelegen ist:
    Es geht doch gerade darum, dass eine sich auch über die von dir vorgetragenen Punkte streiten kann. Du wirst von mir sicher nicht lesen, dass es keinen Sexsismus gegen Männer gäbe oder ähnliches. Dies hier einfach mal subtil zu unterstellen ist unverschämt und lenkt vom Thema ab.
    Deinen Kommentar kann eine so lesen, als würdest du es zur unabdingbaren Bedingung machen, zuerst mal *jede* Ungerechtigkeit auf der Welt zu benennen, bevor eine einen konkreten Missstand kritisieren darf. Dass dir nur ein bestimmter anderer Missstand am Herzen liegt, ist mir schon klar, aber logisch ist es nichts anderes, ob es der Hunger in der Welt ist oder dass nur Männer zum Katastrophenschutz verpflichtet werden. Da dir der eigentliche Sinn des Artikels scheinbar vollkommen entgangen zu sein scheint: es geht hier gerade darum, dass ich mich von einem Feminismus abgrenze, der Männer per Definition zu Sexisten erklärt und Frauen per Definition zu besseren Menschen. Es gibt viele Ungerechtigkeiten auf dieser Welt. Jeder steht frei, die Dinge zu verbessern, die ihr besonders am Herzen liegen. Ich werde dir sicher keine Steine in den Weg legen, wenn du dich um die von dir oben beschriebenen Ungleichbehandlungen kümmern möchtest. Warum ich das für dich übernehmen soll, bevor ich mich um mein Anliegen kümmer darf, hast du mir allerdings nicht schlüssig erklärt.
    Und im Übrigen könnte ich im Umkehrschluss deiner „Argumentation“ von dir erstmal ein explizites Anerkennen von struktureller Benachteiligung von Frauen zu fordern, bevor ich dich ernst nehmen könnte.

  11. Was mich auch verwundert ist das das eine ziemlich patriarchale Art ist zu kommunizieren. Es ist ein von Oben herab wo es keine Gegenrede gibt.
    Was ich bis jetzt immer glaubte das in ‚der Linken‘ eher ein offener gleichberechtigter Kommunikationsstil gepflegt wird.
    Aber dem ist nicht so, was mir eigentlich klar hätte sein müssen, den auch unter Linken gibt es eben autoritäre und machtversessene Menschen.

  12. Ist es nicht der absolute Treppenwitz, dass Du Dein Unwohlsein ob dieses Konzeptes der Definitionsmacht artikulieren musst?

  13. Okay, dank netter Twitter-Follower (inkl Kommentarschreiber hier) hab ichs jetzt kapiert. Ja, es ist absurd, dass die Absurdität des Konzepts bei den Befürworterinnen nicht gesehen wurde, obwohl ich mehrmals genau auf diesen Sachverhalt hingewiesen habe.
    Ich glaube, in deren Mindset war ich da schon dermaßen tief drin in der Schublade „privilegiert und mächtig“, dass mein Einwand schlicht nicht mehr durchgedrungen ist…

  14. Danke für den Text.

    „Darüber hinaus findet ein klassischer Zirkelschluss statt, denn wenn die von Diskriminierung Betroffene entscheidet, ob sie diskriminiert wurde, kann jede vollkommen unhinterfragbar behaupten, diskriminiert worden zu sein“ Das ist in meinen Augen der wichtigste logische Fehler des Definitionsmacht-Konzeptes. Könnte sich tatsächlich jeder unhinterfragbar zum Opfer von Diskriminierungen erklären, dann hätte diese Definition bald keinen Sinn mehr – kaum jemand würde die Definitionen der anderen anerkennen, zugleich auf den eigenen Definitionen bestehen, und die soziale Kommunikation würde zumindest in diesem Aspekt auseinanderfliegen.

    Das Konzept klappt also wohl nur dann, wenn stillschweigend schon allgemein akzeptiert ist, wer Opfer von Diskriminierungen und wer Täter ist. Damit werden dann Menschen dann aber nicht nur prinzipiell in (mindestens) zwei Klassen aufgeteilt, bei denen die einen soziale Situationen definieren und die anderen die Definitionen akzeptieren müssen. Es wird zudem ein Anreiz für einen Opferwettlauf geschaffen, weil sich jede Gruppe, die sich allgemein akzeptiert als Opfer präsentieren kann, eine bessere Position in der sozialen Kommunikation verschafft. Dabei werden allerdings auf Dauer vermutlich eben NICHT diejenigen erfolgreich sein, die am stärksten marginalisiert sind.

    Mir hat das Definitionsmacht-Konzept nur eingeleuchtet am Beispiel von Eltern-Kind-Gewalt. Vor langer Zeit habe ich einmal Alice Miller gelesen, und die hatte (neben vielem anderen) eine ganz plausible These: schädlich für Kinder sei nicht allein die Erfahrung von Gewalt – sondern vor allem die Möglichkeit der gewalttätigen Erwachsenen, die Gewalt beliebig umzudefinieren, sie als Zeichen von Liebe zu deuten, etc. Hier könnte das Definitionsmacht-Konzept vielleicht für eine Weile helfen – als notwendige Unterstützung eines ansonsten völlig ausgelieferten Menschen.

    Nur: So eindeutig wie in solchen gewalttätigen Eltern-Kind-Konstellationen sind die Opfer-Täter-Positionen zwischen Erwachsenen selten. Da ist es in aller Regel viel wichtiger, dass die Beteiligten ihre verschiedenen Perspektiven auf eine Situation koordinieren können – und dass sie im Fall von Konflikten jeweils die Möglichkeit einräumen, dass auch ihr eigenes Verhalten verletzend oder illegitim sein könnte. Hier verhindert das Definitionsmacht-Konzept soziale Kommunikation regelrecht – weil sich seine Vertreter bzw. Vertreterinnen eigentlich in die Position von Kindern imaginieren, die völlig hilflos, aber ganz gewiss auch völlig unschuldig sind.

  15. Man kann „Definitionsmacht“ nicht buchstabieren ohne „Macht“. Dieses Konzept is flawed by design.

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