Gestern sah ich ein Video, wo ein Brite, der derzeit in Shanghai ist, erzählt, wie das so ist in China mit der Massenüberwachung und den Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19 Epidemie.
Diese ganzen Überwachungsinstrumente wie Kameras, die über künstliche Intelligenz Bewegungsmuster aufzeichnen, Bezahlungen und Unterhaltungen in WeChat mitloggen, etc. gibt es in China schon seit einiger Zeit. Machen wir uns nichts vor: es ist ein totalitäres Regime. Die machen das nicht, um ihre Bevölkerung vor einem Virus zu schützen, sondern um ihren totalitären Staat aufrecht zu erhalten. Für all diese Maßnahmen brauche sie den Virus auch nicht als Vorwand, denn sie machen das ja eh schon.
Und dennoch gibt es in China trotz dieser extrem engmaschigen Überwachung sehr viele zusätzliche Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19. Nicht nur in Wuhan ist das öffentliche Leben extrem eingeschränkt. Und damit auch die chinesische Wirtschaft. Das chinesische Wirtschaftswachstum war in den letzten 10 Jahren nicht mehr ganz so steil wie zwischen 2000 und 2010. Der einzige Grund, warum China diese radikalen Maßnahmen ergreift, um SARS-CoV2 einzudämmen, der mir einfällt, ist, dass sie erkannt haben, wie gefährlich dieses Virus ist. Denn was die Wachstumszahlen Chinas sehr gut zeigen: Wir reden hier schon lange nicht mehr von einem kommunistischen Land. China ist durch und durch staatskapitalistisch. Wenn sie also nun so massiv in ihre Wirtschaft eingreifen, dann, weil sie wissen, dass es nötig ist, um ihre Wirtschaft durch Millionen Tote und Kranke nicht noch viel mehr zu gefährden, als sie es durch eine gewisse globale wirtschaftliche Abkühlung sowieso schon war.
Es war schon im Januar klar, dass die Maßnahmen, die da gerade in Wuhan und eigentlich in ganz Festlandchina ergriffen wurden, so in Europa oder den USA niemals funktionieren würden. Umso besorgter hätte man eigentlich sein müssen, denn dass das Virus diesmal, anders als SARS-CoV-1, nicht in Asien bleiben wird, sollte jeder klar sein, die sich ein wenig mit globalen wirtschaftlichen Verflechtungen beschäftigt. Zwischen 2010 und 2018 hat China knapp 150 Milliarden Euro in europäische Firmen investiert. Das führt zwangsläufig dazu, dass es viel mehr persönlichen Austausch zwischen Europa und China gibt.
It's in France, the USA, Japan, SIngapore, Taiwan, South Korea, Vietnam — & w/in 48 hrs we will learn of many more countries that have #nCoV2019 . Why has China had a harder time controlling this, than it did #SARS in 2003?
The Belt & Road Initiative.https://t.co/wl9M9ayNak
— Laurie Garrett (@Laurie_Garrett) January 24, 2020
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Prato, eine Stadt in der Toskana, einst Hauptstadt der italienischen Textilindustrie, hat in den letzten 20 Jahren die höchste Konzentration an chinesischen Firmen in Europa angezogen. Es leben rund 50 000 Chinesinnen in der 200 000 Einwohner großen Stadt. Dass es da einen nicht unerheblichen Personenverkehr zwischen China und Italien geben muss, sollte jeder klar sein. Und das ist nur das extremste Beispiel in Europa. Auch die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Hubei und der Lombardei sind eng. Es war also absolut offensichtlich, dass man diesmal nicht darauf hoffen konnte, dass es ähnlich wie bei SARS-CoV-1 bei einem weitgehend lokalen Ausbruch bleiben würde. Und weil auch klar war, dass es in Europa weder ein perfekt ausgebautes Überwachungsnetz gibt, noch dass drakonische Ausgangsbeschränkungen mit der gegenwärtigen Form europäischen Gesellschaften einfach vereinbar sein würden, ist es aus meiner Sicht absolut unfassbar, dass nicht schon im Januar europaweit mit für alle spürbaren Vorbereitungen auf den Pandemiefall begonnen wurde. Es hätte schon im Februar unmissverständlich klar sein müssen, dass Händewaschen keine ausreichende Maßnahme darstellt und Massenveranstaltungen wie Fußballspiele ein nicht notwendiges Vergnügen sind.
Aber die Europäerinnen scheinen noch immer zu denken, dass China weit weg ist, eigentlich noch immer ein unterentwickeltes Schwellenland, wo Menschen halt sterben, weil die medizinische Versorgung schlecht ist. Chinesen zu arm sind, um nach Europa zu reisen. Und Schutz vor Infektionskrankheiten ist was für Weicheier, Asiatinnen sind einfach die totalen Hygienefetischistinnen. Als ich im Februar anfing, meine Kolleginnen darauf aufmerksam zu machen, dass wir uns auf eine Pandemie vorbereiten müssen, wurden meine Mahnungen als vollkommen übertriebene Panikmache abgetan. Obwohl da die Kolleginnen in Shanghai längst im Homeoffice ihre Kinder beschulten. Wir machten sogar noch Fotos mit Durchhalteparolen für die Shanghaier Kolleginnen. Aber dass das irgendwas mit uns zu tun haben könnte, auf die Idee kamen die wenigsten. Ich gebe zu, die Forderung mancher Eltern in der Grundschule, die Anfang Februar fanden, die Kinder, die über Silvester in Hongkong waren, sollten für 2 Wochen vom Unterricht ausgeschlossen werden, fand ich dann auch etwas übertrieben. Aber hauptsächlich, weil die Kinder da bereits seit 3 Wochen zurück waren und mir eine Isolierung nach so langer Zeit dann doch nicht sinnvoll erschien.
Und noch immer habe ich den Eindruck, dass viele Menschen sich weigern, nach China zu schauen. Wenn ich sage, dass ich nicht davon ausgehe, dass die kl Menschen am 20. April wieder in die Schule gehen und wir ins Büro, dann sind viele vollkommen irritiert. In China haben die ersten Provinzen die Schulen wieder aufgemacht, nachdem sie 4 Wochen keine nachgewiesenen Neuinfektionen hatten. Und dann auch nur die Oberschüler und unter strengen Auflagen. Extra Schulbusse, die jedes Kind zu Hause abholen, optimierten Wegen in der Schule, um die Begegnungen zu minimieren, Fieberkontrollen 3 mal am Tag, usw. Warum wissen das hier so wenige Menschen? Warum wird das alles vollkommen ignoriert? Weil in Europa noch immer eine unfassbare Arroganz vorherrscht. Hier herrscht noch immer die Vorstellung, Asiatinnen stecken sich mit diesen Krankheiten an, weil sie in unterentwickelten Zuständen leben. Und sterben in so großer Zahl, weil sie keine ausreichende medizinische Hightechversorgung haben. Das ist einfach bullshit. China ist ein Industrieland mit extrem großen staatskapitalistischen Ambitionen. China ist längst viel näher als uns bis vor 2 Monaten bewusst war.